Leben jenseits des Verbrenners: Kann Deutschland eine Bio-Tech-Nation werden?
Impact-Newsletter Nr. 21
In meinem privaten Blog – Chronik des laufenden Wahnsinns – bin ich kürzlich der Frage nachgegangen, was Retro-Politikangebote wie die von Donald Trump und Elon Musk in letzter Zeit so attraktiv macht. „Auch Liberale und Linke haben es seit Jahrzehnten nicht geschafft, eine Vision zu zeichnen, hinter der sich Menschen versammeln, die zusammenschweißt und Menschen das Gefühl gibt, mit ihrem Einsatz zu einem besseren Morgen beizutragen", schrieb ich dort.
DIE ZEIT beschäftigte sich kürzlich in einem langen Essay mit der Frage, wie eine Zukunftserzählung aussehen kann, denn „eine Zukunft, in der man nur etwas später stirbt und bis dahin mehr Fahrrad fährt, ist keine“, so der deutsch-österreichische Journalist und Autor Wolf Lotter. Die Vision, die der Autor des Artikels, Ulrich Machold, uns anbietet, klingt sehr bescheiden. „Ein Land, das wieder funktioniert, von Zügen bis zu Bürgerämtern, und das zumindest in der Nähe des technisch neuesten Stands der Dinge. Ein Land, das keine Panikattacke bekommt, wenn der Verbrennungsmotor vom Fortschritt überholt wird, weil es auch andere Stärken hat.“ Vielleicht ist eine bescheidene Vision in diesen Zeiten auch besser als gar keine, so mein Fazit des Artikels.
Wie kann ein Deutschland aussehen, das nicht mehr davon abhängig ist, dass Autos mit Verbrennungsmotoren verkauft werden? Das Land könnte „äußerst wettbewerbsfähig“ sein, heißt es in einer Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Instituts für Deep-Tech-Innovation an der European School of Management and Technology Berlin (ESMT), über die zuerst das Handelsblatt berichtete. Mit BionTech gibt es hierzulande immerhin schon einen der globalen Champions. Eine aktuelle Analyse der DZ Bank sieht BionTech beispielsweise auf dem Weg zum global führenden Immuntherapieunternehmen.
Deutschland hat damit gute Voraussetzung dafür, bei einer der zentralen Zukunftstechnologien zu einem der wichtigsten globalen Player zu werden. Denn Biotechnologie ist nach Meinung von Zukunftsforscherin Amy Webb ein wesentlicher Baustein für einen „Technologie-Superzyklus“, der mithilfe von Künstlicher Intelligenz, hochentwickelten Sensoren und Bioingenieurwissenschaften „die Welt auf weitreichende und unvorhersehbare Weise umgestaltet“, so das Handelsblatt weiter. 2024 gelang der Biotech-Branche laut vorläufigen Zahlen von BIO Deutschland und EY fast eine Verdoppelung bei der externen Finanzierung.
Aber nicht nur beim Thema Biotech gibt es Vertrauen in den Standort Deutschland. OpenAI, der weltweit führende Anbieter der aktuellen auf Large Language Models (LLMs) basierenden KI-Welle, hat einen deutschen Standort in München angekündigt. „Deutschland hat sich zu einem weltweiten Vorreiter bei der Einführung von KI entwickelt“, sagte OpenAI-Chef Sam Altman dem Handelsblatt.
Deutschland, so Altmann, stelle den größten europäischen Markt dar und nehme eine Schlüsselposition in OpenAIs globaler Expansionsstrategie ein, sagte er laut Handelsblatt vor Publikum an der TU Berlin. Dort kündigte der OpenAI-Gründer auch eine Forschungspartnerschaft mit der TU Berlin und der Bifold-Initiative an. „Das Paket umfasst API-Credits im Wert von 50.000 Euro, die Studenten und Forschern Zugang zum fortschrittlichen o3-Modell gewähren sollen“, schreibt Golem. Dem Bericht zufolge aus guten Gründen: Die deutsche Wirtschaft erweise sich zunehmend als Vorreiter in der praktischen Anwendung von KI-Technologien.
Rafael Laguna, Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind), sieht derzeit in dem von Sprind geförderten Berliner GovTech-Startup Rulemapping (hier im Sprind-Podcast zu hören) das Potenzial für „eine neue SAP“, sagte er im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Es digitalisiere nicht nur erstmals ganze Gesetze, etwa im Bereich Steuern, und prüfe sie auf logische Brüche, sondern schaffe gleichzeitig Anwenderprogramme für Bürger und Staat. Laguna: ,Das wird die Verwaltung revolutionieren.’“
Vielleicht kein schlechter Start für die bescheidene Vision eines Landes, das wieder funktioniert.
Was sollten wir wissen?
Die deutsche Industrie zahlte 2024 weniger für Strom als vor der Gaskrise. Gleichzeitig war der Strom so grün wie noch nie in Deutschland. (BDEW-Zahlen bei Statista via Reddit)
Erste europäische Mondlandung: Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) hat einen Vertrag mit dem italienischen Unternehmen Thales Alenia Space unterzeichnet, das ein europäisches Konsortium der Luft- und Raumfahrtindustrie beim Bau der Argonaut-Mondlandefähre, dem ersten Mondlandegerät der ESA, leiten wird. (ESA)
Die französische Staatsbahn SNCF geht neue Wege in der Energiegewinnung und baut Solarzellen auf ungenutzte Gleise. (Golem)
Die Europäische Kommission hat dem Projekt OpenEuroLLM das STEP-Siegel (Strategic Technologies for Europe Platform) verliehen. Dieses Projekt zielt darauf ab, die erste Familie von Open-Source-Sprachmodellen zu entwickeln, die alle offiziellen und zukünftigen EU-Sprachen abdecken. Das Gesamtbudget von OpenEuroLLM beträgt 37,4 Millionen Euro, wovon 20,6 Millionen Euro aus dem Digital Europe Programme stammen. (Europäische Kommission)
Regelmäßiges Radfahren kann Stress und Angst reduzieren, das Selbstwertgefühl steigern, Entspannung fördern, die Schlafqualität verbessern und die Stimmung heben. (Momentum Mag)
Strom statt Kohle: Das größte Klimaprojekt in Österreich ist nicht etwa eine politische Maßnahme – sondern der Bau zweier neuer elektrischer Öfen bei der Voest in Linz und Donawitz. Der Stahlkonzern Voestalpine will damit ein Zwanzigstel aller Emissionen Österreichs einsparen. (Der Standard)
Von Dürren bis Fluten: Der Klimawandel bedroht global den Zugang zu Lebensmitteln. Die Landwirtschaft muss sich daran anpassen. Forschende sagen: Die Gentechnik könnte dabei helfen – ihr schlechter Ruf täuscht. (Tagesschau)
Die neue Venture-Capital-Firma Helantic will in KI, Robotik und autonome Systeme investieren. Ziel ist, ungenutztes Innovationspotenzial für Europas Verteidigungsindustrie zu heben. (Handelsblatt)
Wenn man Schulkinder in den Vereinigten Staaten bittet, einen „scientist“ (deutsch sowohl Wissenschaftler als auch Wissenschaftlerin) zu zeichnen, wählen sie zunehmend Frauen. Das ist die wichtigste Erkenntnis einer neuen Studie, die Informationen über 20.860 Bilder zusammenstellte, die von Schüler*innen im Alter von 5 bis 18 Jahren in fünf Jahrzehnten gezeichnet wurden. (Science.org)
2024 wurden 92 Millionen Tonnen Braunkohle in Deutschland gefördert, so wenig wie zuletzt im Jahr 1916. (Fraunhofer ISE via Reddit)
Das europäische Technologieunternehmen Helsing hat einen neuen Großauftrag zur Herstellung von 6.000 HX-2 Kampfdrohnen für die Ukraine erhalten. Das Unternehmen mit Hauptsitz in München bezeichnet sich selbst als „eine neue Art von Verteidigungsunternehmen“ und hat sich verpflichtet, Rüstungsgüter ausschließlich in Demokratien zu exportieren. (Trending Topics)
Einer aktuellen Studie zufolge arbeiten in Deutschland mehr Angehörige der sogenannten Generation Z im Alter von 20 und 24 in Teilzeit oder in Vollzeit, als es bei den 20- bis 24-Jährigen vor zehn Jahren der Fall war. Ein Grund dafür ist vor allem, dass Studierende zunehmend einem Nebenjob nachgingen. (MDR)
Wie wollen wir leben?
Deutschland baut Windkraft so schnell aus wie kein anderes EU-Land: Lange klagte die Windenergie-Branche über endlose Genehmigungsverfahren. Dank neuer Regeln hat sich die Dauer halbiert, Deutschland könnte seine Ziele sogar übertreffen. (Handelsblatt)
37,5 statt 40 Stunden: Die spanische Regierung will die Wochenarbeitszeit verringern. Noch ist unklar, ob sie die nötige Unterstützung dafür bekommt. (T-Online)
Wenn die Niederlande eine Fahrradstraße anlegen, wird nicht einfach wie in Deutschland leider üblich nur ein Schild hingestellt oder Piktogramme auf den Boden gepinselt und ansonsten keinerlei bauliche Veränderungen vorgenommen. Es werden Parkplätze abgebaut, entsiegelt, begrünt und der gesamte Bodenbelag kernsaniert, um Radfahrer*innen maximalen Komfort zu bieten. (Ingwar Perowanowitsch bei LinkedIn)
Cargobeamer aus Leipzig bringt Lkw-Auflieger binnen weniger Minuten aufs Gleis. Die ausgeklügelte Technik lockt nun abermals Investoren an. Das Leipziger Startup erhält in der nun zweiten Finanzierungsrunde, die bisher 140 Millionen Euro Kapital einspielte, bis zu weiteren 65 Millionen Euro. (Handelsblatt)
Indien hat eine installierte Solarkapazität von 100,33 Gigawatt erreicht und damit eine kritische Schwelle auf dem Weg zu seinem Ziel für 2030, 500 Gigawatt nicht-fossile Energie zu erzeugen, überschritten. (pv magazine)
Litauen, Lettland und Estland waren immer noch mit dem russischen Stromnetz verbunden, aber das hat sich nun geändert. Die Balten trennen diesen Anschluss und synchronisieren sich mit dem System der Europäischen Union. (Deutsche Welle)
Ökologische Fragen bleiben für die Wähler*innen laut einer Forsa-Umfrage das wichtigste Problem der Politik. Das Thema hat zuletzt aber an Bedeutung verloren. (FAZ)
Rafael Laguna, Chef der Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind), stellt die größten Erfolge aus der Startphase seiner Agentur im Interview vor – vom Windrad bis zur Digitalisierung von Gesetzen. Was kommt noch? (Handelsblatt)
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Pläne für private KI-Investitionen in Höhe von 109 Milliarden Euro angekündigt. Er bezeichnete das milliardenschwere Engagement als Frankreichs Äquivalent zum US-Projekt Stargate und bezog sich dabei auf das 500 Milliarden Dollar schwere KI-Investitionsprojekt, das US-Präsident Donald Trump angekündigt hat. (CNBC, Englisch)
Die Innovationsökonomin Francesca Bria hat eine Strategie entwickelt, wie Europa digital autonom werden kann. Sie erklärt, wie der sogenannte EuroStack die Wettbewerbsfähigkeit des Kontinents steigern kann. Der EuroStack ist eine Sammlung von digitalen Technologien auf allen Ebenen, von Hardware-Chips über Cloud-Dienste bis Software aus Europa, um die Abhängigkeit des Kontinents von den USA und China zu verringern. (DLD News, Englisch)
Kai Schiefelbein, Chef des Wärmepumpenherstellers Stiebel Eltron, lobt den Standort Deutschland – und das Heizungsgesetz der Ampelregierung. (FAZ)
Wo gibt es Fortschritte?
Perowskit-Solarzellen haben in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Ihr Wirkungsgrad ist von anfänglich 3,8 Prozent im Jahr 2009 auf rund 25 Prozent gestiegen, was sie zu einer vielversprechenden Alternative zu herkömmlichen Silizium-Solarzellen macht. Zuletzt gab es wieder einige Fortschritte, die Rico Grimm in seinem Cleantech Ing. Newsletter zusammenfasst:
1. Eine neue Recycling-Methode für die Perowskit-Solarzellen mit einem umweltfreundlichen Verfahren, das Wasser als Lösungsmittel setzt. (ingenieur.de).
2. Weitere Fortschritte beim Wirkungsgrad auf bis zu 24,1 Prozent. (Interesting Engineering, Englisch)
3. Andere Forschungsteams haben die Haltbarkeit verbessert. (pv magazine, Englisch)
Das in London ansässige Analystenhaus Rho Motion hat im ersten Monat des Jahres 2025 weltweit einen Rekord von 13,6 GWh an neuen Batteriespeichersystemen (BESS) verzeichnet. (pv magazine, Englisch)
Günstige „Wand“ aus Windturbinen soll große Mengen Strom liefern: Ein innovatives Projekt soll das 5-fache an Strom liefern wie ein einzelnes Dreiblatt-Windrad. (FutureZone)
RWE hat einen Batteriespeicher mit 220 Megawatt/235 Megawattstunden fertiggestellt. Der Speicher an den Standorten Hamm und Neurath soll an den Regelenergiemärkten eingesetzt werden und somit zur Netzstabilisierung beitragen. (pv magazine)
Batteriebetriebene Elektrofähre soll Spanien und Marokko verbinden. (E+T)
Ein Forschungsteam der MedUni Wien hat einen bisher unbekannten Mechanismus entdeckt, der es bestimmten Zellen ermöglicht, SARS-CoV-2 zu bekämpfen. Die Studienergebnisse eröffnen neue Möglichkeiten für die Therapie insbesondere schwerer Verläufe von COVID-19, hieß es am Dienstag in einer Aussendung. (ORF)
Mit einem ersten Treffen der 30 Projektleitenden des Förderschwerpunkts „Erforschung und Stärkung einer bedarfsgerechten Versorgung rund um die Langzeitfolgen von COVID-19 (Long COVID)” in Berlin hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) an diesem Montag ein Koordinierungsnetzwerk für die Long COVID-Forschung gestartet. (Krankenkassen direkt)
11 Startups, die KI günstiger und umweltfreundlicher machen wollen: Seit dem Deepseek-Launch stellen Brancheninsider die Milliardenausgaben für die KI-Infrastruktur infrage. Diese Gründer*innen arbeiten an Lösungen. (Gründerszene, Paywall)
Fortschritte bei der Forschung am Kohlenstoffmaterial Graphit, bei dem Forschende hoffen, supraleitende Eigenschaften bei Raumtemperatur herstellen zu können – ein entscheidender möglicher Fortschritt bei der Chipforschung. Ein Forschungsteam berichtet über Fortschritte bei der Isolierung des Materials. (arxiv, Englisch)
Facebook-Mutter Meta hat Project Waterworth angekündigt: den Bau eines 50.000 Kilometer langen Unterseekabels. Das bislang längste Unterseekabel der Welt soll USA, Indien, Südafrika, Brasilien und weitere Regionen verbinden. Mit 24 Glasfaserpaaren wird das Kabel eine höhere Kapazität bieten als herkömmliche Systeme, die typischerweise 8 bis 16 Paare nutzen. Es zielt darauf ab, die digitale Infrastruktur insbesondere in Indien zu stärken und die KI-Projekte von Meta zu unterstützen. (TechCrunch, Meta)
Einem Forschungsteam aus den USA ist womöglich ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Schutz der Radioastronomie vor zunehmenden Kontaminationen durch Satellitennetzwerke gelungen. Forschende haben einen Weg gefunden, um unerwünschte Signale in den Messdaten eines Radioteleskops in Australien zu identifizieren und herauszufiltern. (Heise)
Level Zero Health, ein von Frauen gegeründetes Startup für tragbare Medizintechnik, hat 6,9 Millionen US-Dollar Startkapital erhalten, um die Belastung durch Hormontests zu verringern. Das Unternehmen entwickelt ein tragbares Gerät, das kontinuierlich den Hormonspiegel überwacht und so herkömmliche Bluttests ersetzen könnte. Das Gerät soll die Diagnose und Behandlung hormoneller Ungleichgewichte verbessern. (TechCrunch)
Fundstücke des Monats: Wikipedia-Bahnfahrten und Retro-Elektro-Vespas
Das einfache Online-Tool wikiRailLine findet Wikipedia-Artikel entlang einer beliebigen Bahnstrecke und wer eine klassische Vespa besetzt, kann sie jetzt auf Elektromobilität umrüsten, ohne sich von den geliebten Rollern zu trennen: Das italienische Startup Retrokit hat ein Umrüstsystem entwickelt. (Golem)
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