Ausgabe Nummer 1
Ich bin bekennender Doom-Scroller auf Entzug. Twitter, heute X, war immer mein soziales Netzwerk: Jede noch so katastrophale Nachricht und Entwicklung habe ich mit ungesunder Faszination verfolgt, schockierende Videos, trostlose Katastrophen-Prognosen zur Klimaerhitzung oder lähmende Skandale im Detail verfolgt.
Demokratie braucht Öffentlichkeit und Debatte – eine Debatte braucht informierte Menschen. Aber das Ausmaß an Involviertheit von Teilen der Gesellschaft in gefühlt jede Teildebatte hat, inklusive mir, leider ungesunde Ausmaße erreicht.
Denn es ist ja nunmal so: Während sich X-User gegenseitig als Antisemit*innen und Terrorverhamloser*innen oder Islamophobe angehen, verbessern diese Diskussionen und der Nachrichtenkonsum die Lage der Menschen vor Ort kein Stück. Was bleibt, ist ein toxisches Diskussionsklima und das Gefühl des Einzelnen, über all die Grausamkeiten der Welt nahezu in Echtzeit informiert zu werden, während die allermeisten von uns sehr wenig bis gar nichts dazu beitragen können, dass die Welt spürbar besser wird.
Unsere Antwort ist ab heute das Anti-Doomscroll-Briefing von fph, die von mir mitgegründete Kommunikationsberatung, die Firmen unterstützt, die einen positiven Beitrag leisten. Unser Anti-Doomscroll-Briefing ist ein (fast) wöchentlicher Newsletter, der sich in jeder Ausgabe mit folgenden Fragen beschäftigt.
Was sollten wir wissen? Eine grobe Zusammenfassung der aktuellen Geschehnisse auf der Welt mit einem klaren Fokus auf Lichtblicke und konstruktive Lösungen.
Wie wollen wir leben? Hinweise auf interessante, positive Konzepte in Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Zivilgesellschaft, die uns Hoffnung geben.
Wo gibt es Fortschritte? Für viele unserer aktuellen Herausforderungen auf der Welt gibt es Technologien, Erfindungen, Startups, die zur Lösung beitragen. Wir stellen sie vor!
Fundstück der Woche: Ein interessanter, kurioser, lustiger oder in sonstiger Hinsicht spannender Link.
Los geht’s:
Was sollten wir wissen?
Wer den Oktober nicht vollständig in einer Berliner U-Bahn ohne Handyempfang verbracht hat, weiß, dass die islamistische Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 eine selbst in der Geschichte Israels bislang beispiellosen Terrorangriff auf Israel verübt hat: Im größten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Zweiten Weltkrieg. Dabei folterten und töteten die Terrormiliz und ihre Verbündeten nach israelischen Angaben mindestens 1400 Zivilist*innen und Soldat*innen, verletzten 4.100 Menschen und entführten 220 weitere.
Angesichts dessen fällt es schwer, mit positiven Nachrichten in den Newsletter zu starten – dennoch gibt es sie. In Deutschland beispielsweise macht Hoffnung, dass Vertreter*innen der größten muslimischen Landesverbände in Nordrhein-Westfalen eine Kölner Synagoge besuchten, worauf Vertreter*innen jüdischer Verbände einer Einladung in die Bochumer Sultan-Ahmet-Moschee folgten.
Radioeins weist auf ein Restaurant in meiner Nachbarschaft hin: Der Israeli Oz Ben David und der Palästinenser Jalil Dabit führen gemeinsam das Hummus-Restaurant Kanaan und haben jetzt ein Kochbuch veröffentlicht. Das Motto von Kanaan: Spread Hummus, not war.
Zum Thema Klimawandel gab es zuletzt auch wenig Positives zu berichten. Doch vergangene Woche gab es den wohl größten Hoffnungsschimmer zum Thema seit Jahren. Wir alle wissen, dass die bisherigen weltweiten Maßnahmen zum Klimaschutz nicht annähernd ausreichen, das festgelegte 1,5-Grad-Ziel zu erreichen – das bedeutet aber nicht, dass sie wirkungslos sind. 2015 steuerten wir noch auf 3,5 Grad durchschnittliche Erderhitzung zu – aktuell sind es laut einem aktuellen Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA) noch 2,4 Grad. Haupttreiber ist laut IEA der „nicht zu stoppende“ Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung. Weil Strom aus Wind und Sonne derzeit konkurrenzlos günstig wird, geht die internationale Organisation vom Höhepunkt der fossilen Energieerzeugung bereits 2025 aus! China soll diesen Peak bereits im kommenden Jahr erreichen. Der Prognose zufolge haben die globalen CO2-Emissionen bereits dieses Jahr ihren endgültigen Höhepunkt erreicht.
Wie wollen wir leben?
2015 haben sich die Vereinten Nationen globale Entwicklungsziele gegeben – breit bekannt als die 17 SDGs (Sustainable Development Goals) – darunter, Armut und Hunger bis 2030 zu beenden. Zuerst die schlechte Nachricht: Zur Halbzeit ist keines der definierten Ziele erreicht. Und jetzt die gute: Die Unternehmensberatung BCG geht in ihrer jüngsten Analyse davon aus, dass sie prinzipiell noch erreichbar sind. Ein wichtiges Mittel dazu: mehr Kapital. Schätzungen zufolge beläuft sich die Finanzierungslücke für die SGDs auf 3,9 Billionen US-Dollar jährlich. „Studien, u. a. von BCG, zeigen, dass Unternehmen, die bedeutende Fortschritte bei ESG-Faktoren erzielen, höhere Bewertungsmultiplikatoren und Erträge erzielen und niedrigere Kapitalkosten haben“, schreibt die Unternehmensberatung.
Als ein wichtiger Hebel für die Erreichung dieser Ziele könnte sich etwas herausstellen, das in der Impact-Community keinen guten Ruf genießt: Konsum. Unser Kunde share macht es vor: Unter dem Motto „Jeder Kauf tut Gutes“ unterstützten die share-Produkte soziale Projekte rund um die Welt – der Kauf einer Flasche Trinkwasser sichert so zum Beispiel einen Tag Zugang zu sauberem Trinkwasser (20 Liter) im globalen Süden. Im Gastartikel bei Capital erläutert Gründer Ben Unterkofler, warum aus seiner Sicht Instrumente wie der individuelle CO2-Fußabdruck und generelles Konsum-Shaming bei der Erreichung unserer Entwicklungs- und Umweltziele in die Irre gehen.
Im Jahr 2021 wurden weltweit 391 Millionen Tonnen Kunststoff produziert – Tendenz steigend. Davon wird nur ein Bruchteil recycelt – in Deutschland zum Beispiel weniger als ein Zehntel. Und bis 2060 könnte sich die Menge der weltweit produzierten Kunststoffe sogar noch verdreifachen. Um das zu ändern, will das Unternehmen Cirplus als globaler Marktplatz für zirkuläre Stoffe den weltweiten Handel von Rezyklaten vereinfachen und kosteneffizienter gestalten. Wie genau, hat Cirplus-Ingenieur Max Meister uns im fph-Podcast „How to solve it” erklärt.
Auch unter unseren Kunden gibt es ein Unternehmen, das sich dem Thema angenommen hat: Das Berliner Startup Ecopals verbaut nicht recyclebares Altplastik in Straßen und wird bald die Ecoflakes für ein gutes Stück der A7 in Norddeutschland liefern. Gründer und CEO Jonas Varga war im n-tv-Podcast „So techt Deutschland“ zu Gast.
Wo gibt es Fortschritte?
Das deutsche-britische Biotech-Unternehmen BioNTech hat erstmals ermutigende Daten zur Forschung an einer neuen Krebstherapie namens Car-Vac veröffentlicht. Die Methode kombiniert die heute schon verfügbare CAR-T-Zelltherapie, bei der das Immunsystem des Körpers zur Antwort auf den Krebs animiert wird, mit einer mRNA-Impfung, um den Therapieeffekt zu verstärken.
In den untersuchten unheilbaren (refraktären) Krebsfällen stellte sich durch die Behandlung in 95 Prozent der Fälle entweder eine Stabilisierung oder eine Rückbildung der Krankheit und in 59 Prozent eine signifikante Rückbildung oder Reduktion (ORR) ein. Trotzdem handelt es sich noch um frühe Vorstudien, und falls diese Therapie auf den Markt kommen könnte, vergehen laut Expert*innen-Schätzungen noch fünf bis zehn Jahre.
Fundstück der Woche
ChatGPT kennt so gut wie jede*r – doch welche Fortschritte hat das berühmteste KI-Modell der Welt eigentlich gemacht? So leicht zugänglich wie hier mit konkreten Beispielfragen habe ich die Fortschritte bei der KI noch nirgendwo dargestellt gesehen: https://theaidigest.org/progress-and-dangers